Wie hat Heine's Loreley die deutsche Romantik beeinflusst und wie aktuell ist sie heute in Zeiten der Rationalisierung?
- Salon Alba
- 25. Apr. 2024
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Es ist nun genau 200 Jahre her, dass Heine seine Loreley schrieb, im März 1824.
Die Zeit der deutschen Romantik, die sich am Vorabend der Industrialisierung bildete, setzte auf Irrational- märchenhaften Stoff, anstatt auf Rationalisierung und Verstand. Das Magische und Naturhafte, Sehnsucht und Fernweh waren ihre Themen. Mit der Loreley reihte Heinrich Heine eine weitere weiblich verlockende Wassergestalt in die Weltliteratur ein. Entdecken wir gemeinsam Heine's Loreley und seine Relevanz -- damals und heute.

Kaiserin Sisi verehrte Heinrich Heine ihr ganzes Leben lang. Er war ihr unangefochtener Lieblingsdichter. In ihrem Gemach am Wiener Hof hingen nicht etwa Bilder der kaiserlichen Familie, sondern Portraits von Heinrich Heine. Provokation pur, denn Heine war Persona non Grata in der Monarchie. Vaterlandsverräter und Schandmaul! Neben Bertolt Brecht ist er der meist umstrittenste deutsche Lyriker, denn er tat etwas, was noch keiner gewagt hatte. Er mischte sich literarisch in die Politik ein, als Poet, Schriftsteller und Journalist mit Witz und Satire.
Geboren im Rheinland, erlebte Heine als Junge den Einmarsch und als Erwachsener den Fall Napoleons. Europa ordnete sich neu aus. Nach dem Wiener Kongress 1815 und der Gründung der Heiligen Allianz, erstarrte Europa im restaurativem Metternich-System, in dem der Adel herrschte.
Und dieser sah in seiner Alleinherrschaft weder Meinungs- noch Pressefreiheit vor. Bereits 1831 mit 33 Jahren ging Heine ins Exil nach Paris. Seine kritischen Texte wurden in deutschen Bund zensiert. Ein Schreibverbot und später sogar ein Haftbefehl in Preussen nach der Veröffentlichung von Deutschland. Ein Wintermärchen kamen noch obendrauf.
Loreley, Undine und co.- die Sirenen der Literatur
Es geht wohl eine eigenartige Magie von den Mythen der singenden Wasserwesen aus. Noch heute pilgern Touristen zum Rheinfelsen, um die Legende der Loreley hautnah zu spüren. Schon Homer wusste das Sinnbild weiblicher Lockung zu nutzen und verarbeitete das Thema der Sirenen in der Odyssee. Auffallend ist, dass es fast immer die Wasserfrauen sind, die am Ende den Kürzeren ziehen. Friedrich de la Motte Fouqués Undine, ehemalige Meerjungfrau, wird als Kind von einem Fischerehepaar adoptiert. Sie heiratet ihren Traumritter, der sie kurze Zeit später betrügt. Die Gesetze ihrer Meereswelt verlangen, dass Undine ihren Ritter tötet. Sie selbst wird anschließend liebend und leidend in Wasser verwandelt.
Das Schicksal der kleinen Meerjungfrau von Hans Christian Anderson ist besonders tragisch. Sie verlässt die Unterwasserwelt und gibt ihre Stimme her, um an Land dem Prinzen zu begegnen.Dieser erwidert ihre Liebe nicht, er heiratet stattdessen die Prinzessin mit Stimme aus dem Nachbardorf. Die kleine Meerjungfrau löst sich bei Sonnenaufgang in Schaum auf, sie verschwindet buchstäblich, wird zum Luftgeist. Die sirenischen Bilder weiblicher Verführungsmacht, die uns Frauen noch heute als Schlüssel zum Erfolg vermarktet werden, sind am Ende Trugbilder, die den Weg zur weiblichen Selbstbestimmung blockieren.
Der steile Loreley Felsen in der Rheinenge, der so vielen Schiffern das Leben kostete, wurde schon 1800 von einem anderen Romantiker literarisch verwoben: Clemens Brentano. Er brachte den Rheinfelsen erstmals mit einer weiblichen Figur in Verbindung: Die dämonisch-naturhafte und gleichzeitig äußerst attraktive Zauberin Lore Lay. Durch ihre Schönheit zieht sie alle Männer in ihren Bann, die dadurch den Tod finden. Auch ihr Geliebter ist auf See verschwunden. Aus Liebeskummer sehnt sie sich den Tod so sehr herbei, dass sie sich schließlich selbst in den Rhein stürzt und ertrinkt.
Auch Heine war angezogen vom klingenden Namen der Lore Lay. Er webte den Märchenstoff aus alten Zeiten weiter. Die unglückliche Wassernixe Loreley reißt mit ihrem schönen Gesang fortan die Schiffer in die Tiefe, dabei ist sie immer noch auf der Suche nach ihrem Ritter. Und wie es der Mythos will, Heines Loreley zog die Menschen in ihren Bann und machte den Dichter über die deutschen Grenzen hinweg zum Star. Warum löst dieses Märchen aus alten Zeiten einen solchen Sog aus? Einerseits ist der Mythos geheimnisvoll und damit aufregend. Anderseits gibt das volkstümlich Vertraute eine Geborgenheit, die sich wohlig-verwurzelt anfühlt. Romantiker wie Eichendorff, Achim von Arnim oder Brentano drücken in ihren Werken genau diese Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, den sogenannten Weltschmerz aus.
Loreley
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
daß ich so traurig bin;
ein Märchen aus alten Zeiten,
das kommt mir nicht aus dem Sinn.
Die Luft ist kühl und es dunkelt,
und ruhig fließt der Rhein;
der Gipfel des Berges funkelt
im Abendsonnenschein.
Die schönste Jungfrau sitzet
dort oben wunderbar;
ihr goldnes Geschmeide blitzet,
sie kämmt ihr goldenes Haar.
Sie kämmt es mit goldenem Kamme
und singt ein Lied dabei;
das hat eine wundersame,
gewaltige Melodei.
Den Schiffer im kleinen Schiffe
ergreift es mit wildem Weh;
er schaut nicht die Felsenriffe,
er schaut nur hinauf in die Höh.
Ich glaube, die Wellen verschlingen
am Ende Schiffer und Kahn;
und das hat mit ihrem Singen
die Lore-Ley getan.
Heinrich Heine
Weltschmerz, Sehnsucht und Märchenstunde
International gesehen sticht die Romantik in der deutschen Literaturgeschichte stark heraus. Es gibt die Auffassung, dass vor allem die Sprache der Romantiker mit Wörtern wie Weltschmerz, Sehnsucht und Fernweh, die deutsche Seele und den deutschen Charakter am besten widerspiegelt. Das Mittelalter wurde zu einer märchenhaften Vergangenheit verklärt, zu der man sich zurücksehnte.
Manche Sprachwissenschaftler sind der Ansicht, dass das Irrational-Sehnsüchtige bis in den Nationalsozialismus hineingewirkt habe.
Wo stand Heine mit seiner humorvoll-heiteren Art in all der melancholischen Romantik? Er war Kritiker des Biedermeiers, studierte bei August Wilhelm Schlegel. Er besuchte die romantischen Salons von Rahel Varnhagen in Berlin. Stark beeinflusst von der Romantik vollzieht sich in seinem Werk der Übergang von der Romantik zum Realismus. Er gilt als letzter Vertreter und Überwinder der Romantik. Er war ein Meister der romantischen Ironie, ein Meister des Augenzwinkerns, wie sich an diesem Gedicht zeigt.
Das Fräulein stand am Meere
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein!
sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück
Heinrich Heine
Vor lauter Trauer und Melancholie über die untergehende Sonne, bekommt das Fräulein gar nicht mit, dass auf der anderen Seite eine neue Sonne aufgeht.

Im Gedicht Loreley geht Heine subtiler vor. Genau das, macht das Lied so besonders. Das lyrische Ich, der Erzähler sozusagen, sucht nach einer Erklärung für seine Traurigkeit. Er erinnert sich an ein altes Märchen, das ihn melancholisch stimmt. Aber er weiß nicht wirklich was soll es bedeuten. Der Bruch im Satz zeigt hier bereits Heines Zerrissenheit gegenüber der Romantik. Er beschreibt die romantische Kulisse des Rheins, erzählt das alte Märchen nach. Obwohl er keine eigenen Empfindungen dazu hat, ist seine Wehmut zu hören, über die gescheiterte Romantik, den gescheiterten Versuch, Mensch und Natur zu vereinen, die Zerrissenheit der Seele durch Poesie zu heilen.
Als würde der Erzähler schließlich aus einem Traum erwachen, erkennt er den Grund für seine Melancholie: Und das hat mit ihrem Singen die Lore-Ley getan. Er benennt die Namenlose und erlöst sie, bricht ihren geheimnisvollen Zauber. Heine vollzieht mit der Loreley die Überwindung der Romantik.
Was ist nun Heines Botschaft? Sehnsucht haben wir alle und ja, auch Wehmut über Vergangenes. Die bitter-süße Freude der Vergangenheit. Aber schwelge nicht zu lange darin, lass dich nicht zu sehr vom Vergangen in den Bann ziehen.
Nimm‘s auf die leichte Schulter
Heine hat das Schwere mit Leichtigkeit versehen und etwas erträglicher gemacht. Heines Aprilbotschaft ist: Nimm es auf die leichte Schulter! Versuche dich von Schwierigkeiten nicht zu sehr herunterziehen zu lassen. Vielleicht kannst du im Monat April schwere Themen mit etwas Leichtigkeit angehen. Heine wollte zu seiner Zeit, dass die Menschen in der Gegenwart tatkräftig sind und nicht schwermütig zurück blicken und sich im eigenen Leid baden. Er glaubte an eine Verbesserung für alle Menschen. Lassen wir uns gemeinsam von Heine inspirieren!
Seien wir frisch, seien wir mutig und tatkräftig. Gehen wir das Leben gemeinsam mit Leichtigkeit und Stärke an.
Ich wünsche dir einen wunderschönen April voller Leichtigkeit und Humor!

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